RINDERZUCHT AUSTRIA-Seminar 2022
„Tierwohl – transparent, nachvollziehbar, messbar“
Die Konsument:innen haben Erwartungen, der Handel versucht diesem Wunsch mit Vorgaben nachzukommen, die Landwirt:innen wünschen sich gesunde Tiere für ihre Milchviehbetriebe sowie faire wirtschaftliche Abgeltungen. Die Interessen aller Beteiligten sind unterschiedlich und bringen viel Spannungspotential mit sich.
Zu Beginn widmete sich Prof. Dr. Christoph Winckler, Universität für Bodenkultur, der Frage wie Tierwohl grundsätzlich definiert wird als auch messbar ist? Lange Zeit nur über die Ressourcen beurteilt, wird das Thema heute viel umfassender betrachtet. Dabei werden tierbezogene Indikatoren, wie direkte Beobachtungen am Tier oder Gesundheitsparameter, einbezogen, um die Lebensqualität der Tiere zu erhöhen und Leiden zu reduzieren. Dadurch sind umfassendere Aussagen über das Wohlergehen des Tieres sowie Verbesserungsmaßnahmen für den Betrieb, das Herdenmanagement und die Zusammenarbeit mit der Tierärzteschaft möglich.
Tierwohl-Daten im Rinderdatenverbund
Die Bedeutung von Tiergesundheit und Tierwohl ist in der Zucht, im Herdenmanagement, in der Qualitätssicherung lt. Dr. Christa Egger-Danner, ZuchtData, in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Routinedatenerfassung im Rinderdatenverbund (RDV) wurde durch das Gesundheitsmonitoring Rind oder die Klauendatenerfassung kontinuierlich erweitert. Die Daten sind eine wichtige Grundlage für die Verbesserungsmaßnahmen, die differenzierten Datenerfassungen mit den unterschiedlichen Merkmalsdefinitionen stellen jedoch große Herausforderungen dar. Durch die Datenvernetzungen sind betriebsübergreifende Auswertungen und multifunktionale Nutzungen, wie für das Herdenmanagement, die Zucht, die Tiergesundheit und das Qualitätsmanagement möglich. Die RINDERZUCHT AUSTRIA Projekte GMON, Efficient Cow, D4Dairy, Klauen-Q-Wohl brachten eine Vielzahl an relevanten Tierwohl-Messwerten hervor und sind wichtige Werkzeuge für die Dokumentation und Unterstützung von Verbesserungsmaßnahmen. Es geht nun darum die Synergien für die Zucht, das Herdenmanagement und die Qualitätssicherung zu nutzen, zusammenzuarbeiten und bestehende Datenquellen auszuschöpfen, damit der Aufwand für die Betroffenen reduziert und der Nutzen erhöht werden kann.
Tierwohl-System Q Check
Online zugeschaltet stellte Dr. Jan Brinkmann vom renommierten Thünen-Institut in Deutschland „Q Check“ vor, ein Tierwohl-System, das von der betrieblichen Eigenkontrolle bis zum nationalen Monitoring reicht. Das in die Tierwohl-Strategie des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft eingebettete Projekt mit über 3,7 Mio einbezogenen Kühen hat zum Ziel Daten zum Nutzen für Mensch-Tier-Umwelt zu liefern. Der Q Check Report zeichnet sich durch praxistaugliche, automatisiert erfassbare und aussagekräftige Indikatoren aus, die im Vorfeld präzise ausgewählt wurden. Die umfassenden Datengrundlagen aus der Leistungsprüfung sind Grundlagen darfür. Die verschiedenen Akteure der Milchviehbranche sowie auch NGO´s waren in diesen Prozess eingebunden.
Zucht für mehr Tierwohl
Welchen Beitrag die Zucht für mehr Tierwohl bringt, beleuchtete Dr. Christian Fürst, ZuchtData. Die geschichtliche Entwicklung für Zuchtwerte für mehr Tierwohl geht auf das Jahr 1995 mit der Einführung der Zuchtwertschätzung für Nutzungsdauer zurück. Mittlerweile gibt es weiters Zuchtwerte für Zellzahl, Kalbeverlauf und Totgeburten, Aufzuchtverluste, Gesundheit, Klauengesundheit (Holstein) und Stoffwechselstabilität. Bei fast allen Rassen werden Fitness- und Gesundheitsmerkmale im Zuchtziel höher gewichtet als Milch. Trotz starker Leistungssteigerung ist eine stabile bis leicht positive genetische Entwicklung bei den Tierwohl-relevanten Merkmalen zu beobachten. Ein wichtiger Bestandteil der Genomischen Zuchtwertschätzung ist seit 2010 das Monitoring für Erbfehler und genetische Besonderheiten, wie Hornlosigkeit. Weiterentwicklungen der Zuchtwerte für Klauengesundheit und Stoffwechsel für Fleckvieh und andere Rassen sind in Arbeit.
Tierwohl 4.0
Viel Potential zu Tierwohl wird durch neue Technologien erwartet. An aussagekräftigen Kennzahlen aus Sensordaten arbeitet die RINDERZUCHT AUSTRIA federführend mit Partnern aus der Wirtschaft, Wissenschaft und landwirtschaftlichen Organisationen im Rahmen des Projektes D4Dairy. Dr. Katharina Schodl, ZuchtData, präsentierte neueste Ergebnisse des Digitalisierungsprozesses, der in der Landwirtschaft eine immer größere Rolle spielt. Verschiedene Sensorsysteme am, im und um das Tier zeigen präventiv Abweichungen, schlagen Gesundheitsalarme und lassen Vorbeugemaßnahmen gezielter setzen.
Der Nachmittag stand im Zeichen der Umsetzung in die Praxis. Prof. Dr. Christian Dürnberger von der Vetmeduni Wien widmete sich hier den hohen Erwartungen der Konsument:innen sowie dem teilweise kritischen Selbstbild der Landwirt:innen.
Dr. Elfriede Ofner-Schröck, HBLFA Raumberg-Gumpenstein, präsentierte die ersten Ergebnisse des Tools FarmLife Welfare zur Unterstützung der Praxis in der Tierhaltung. Tierbezogene Indikatoren, wie durch die Beurteilung der Klauen, Lahmkeit, Ernährung, lassen eine Stärken-Schwächenanalyse im Stall zu.
Was brauchen die Landwirt:innen?
Die Junglandwirtin Karoline Strauß aus der Steiermark motivierte das Publikum die Herausforderungen selbst in die Hand zu nehmen und betriebsindividuelle Alternativen zu überlegen. Der hohe Tierwohl-Standard soll gemäß dem Motto „Geht´s dem Tier gut, geht´s dem Landwirt gut“ in der Praxis gelebt werden.
Nationale Tierwohlkennzeichnung
Wie eine nationale Strategie und Umsetzung einer Tierwohlkennzeichnung in der österreichischen Milchwirtschaft ausschauen könnte, stellten Helmut Petschar, Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter, und Dipl.-Ing. Rüdiger Sachsenhofer vom AMA Marketing vor. Hierbei geht es darum für die kleinstrukturierte Milchwirtschaft in Österreich ein praktikables System zu installieren und eine Branchenlösung mit allen Partnern zu erreichen. Diese Kennzeichung, eingebettet im Rahmen des AMA-Gütesiegels, soll für die Konsument:innen leicht und einfach erfassbar sein sowie mit einer gemeinsamen Kommunikationslinie versehen werden.
Eine Diskussionsrunde mit den Referent:innen sowie mit Stefan Lindner, Obmann der RINDERZUCHT AUSTRIA, und Johannes Schmidt BSc von der Landwirtschaftskammer Österreich rundeten den informativen Seminartag ab.